07.07.2012

Tag 029: Barfuß durch die Ausstellung

Als ich letztens mit Stephan über die documenta ging, fragte er mich zuvor, ob es in Ordnung wäre, dass er kurze Hose trägt. Ich antwortete, dass ich schon alles an Modesünden gesehen hätte und eine kurze Hose definitiv vertretbar wäre. Tatsächlich stellt sich mir die Frage, warum man sich überhaupt gedanken macht, was man am Leib trägt. Die Kunstwerke erfordern doch keinen Dresscode, oder? Und wessen Vorstellungen versuchen wir durch Kleidung zu entsprechen?
Heute traf ich dann während einer dTOUR auf das Pärchen auf dem Foto oben, beide barfuß. An sich kein Grund darüber zu bloggen, wäre da nicht eine kleine aber feine Koinzidenz:
Quelle: http://moussemagazine.it/img/40/842/842_Julio-Gonz%C3%A1lez.jpg
Dieses Bild wurde von einem Unbekannten auf der documenta II aufgenommen. Was war es, dass ihn veranlasste den Auslöser zu drücken? Möglicherweise die Arbeiten von Julio Gonzalez, aber dann hätte er einen ungünstigen Moment gewählt, ist eine doch durch den Herren verdeckt und der ganze Vordergrund sehr dominant. Nein, ich denke dass tatsächlich die Fußbekleidung der Dame Grund war, dieses Foto zu machen.
Dieses Foto wird auf der dOCUMENTA (13) neben den drei Arbeiten präsentiert, die auch auf dem Foto zu sehen sind, und zwar an genau der Stelle, an der sie auch im Jahre 1959 standen - in einem Raum, der neben Ryan Ganders Arbeit mit dem Titel "I Need Some Meaning I Could Memorize" leer ist.
Quelle: http://www.blindbild.com/wp-content/uploads/2012/06/documenta-13-fridericianum-erdgeschoss.jpg
Hier verbinden sich Geschichte mit Geschichten, Erinnerung mit dem Wunsch etwas zu erinnern. Ich lese diese Instalation in erster Linie allerdings als archäologisches Mahnmal: Dieser scheinbar so leere Raum ist - wie das ganze Fridericianum, ganz Kassel und darüber hinaus - kein bedeutungsleerer Raum. Er ist voll mit unzähligen Schichten von Erinnerung, teils aus der noch relativ jungen Geschichte der documenta, Teils aus der etwas länger währenden Geschichte des Fridericianums. Wenn wir diese Ausstellung also als etwas betrachten, das ganz neu und unschuldig daherkommt, blenden wir unzählige Ebenen ihrer Bedeutung aus.
Natürlich wird es niemanden geben, der auch nur annähernd alle Schichten von Bedeutung kennt oder erinnert, aber diese Präsentation kann uns unser Unvermögen bewusst machen und möglicherweise zu etwas Umsicht und Demut beim weiteren Betrachten der Ausstellung führen.

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