12.06.2012

Tag 004: Mit dem dritten Auge sehen

Maria Loboda
Erkki Kurenniemi


Seth Price / Tim Hamilton
Brian Jungen
Alle Fotos, die ich bisher hier gepostet habe und sicherlich auch ein Großteil der folgenden, sind mit der Kamera meines Smartphones geschossen. Zwar habe ich auch eine Spiegelreflexkamera - ebenfals digital - mit nach Kassel genommen, aber sie ist mir meist zu sperrig, um sie wirklich bei mir zu tragen. Damit bin ich nicht alleine: Überall sieht man Leute, die Kunstwerke mit ihren Handys abfotografieren oder abfilmen.
Es ist natürlich ein Allgemeinplatz, dass die moderne Kommunikationstechnik unser Leben radikal verändert hat und ich möchte diese Veränderung weder dramatisieren noch bewerten. Aber grade im Kontext mit Kunst - der Erfahrung vor dem Original - irritiert es mich doch immer wieder, wie viele Leute eine Ausstellung auf dem Display ihres Handys oder Smartphones rezipieren und scheinbar ein Kunstwerk nur gesehen haben, wenn ein (zumeist schlechtes) Foto davon abgespeichert wird.
Fast scheint es so, als müssten wir unser Leben und die darin auftretenden Ephemere umfassend dokumentieren. (Maria Lobodas Skulptur verändert sich im Laufe der documenta, Erkki Kurenniemi hat selbst sein ganzes Leben dokumentiert, die Modenschau von Seth Price und Tim Hamilton war für mich das erste Ereignis dieser Art und der Hund in der Arbeit von Brian Jungen schaute einfach so schön blöde aus der Wäsche) Doch was passiert, wenn das Leben des Autors solcher Dokumente selbst ephermer wird, er stirbt, getötet wird?

Eine der eindruckvollsten Arbeiten, die ich bisher gesehen habe, ist das künstlerische Archiv von Rabih Mroué mit dem Titel "The Pixelated Revolution". Die Geschichte dahinter ist so simpel wie makaber: Er verwendet Handyaufnahmen von Personen, die im Laufe der syrischen Revolution ermordet wurden und ihre Mörder dabei mit ihren Telefonen aufgenommen haben.
Mroué übersetzt diese Dokumente in großformatige Fotografien der Mörder, die aufgrund der Pixel eines Handyfotos kaum zu erkennen sind, in einen Dokumentarfilm, einen analogen Endlosloop und Daumenkinos, mit denen man sich die Finger schmutzig macht, wenn man sie betrachten möchte.
Unter dem Titel "Instructions and Advice How to Shoot Today" kombiniert er außerdem praktische Hinweise zum Gebrauch von Handys mit dem Manifest von Dogma 95 - die Doppelbödigkeit des Titels erfordert wohl keinen weiteren Kommentar.
Ganz interessant ist allerdings, dass das Dogma 95 Manifest sowohl Waffengewalt als auch Morde abgelehnt werden und auch die Arbeiten von Mroué trotz ihres radikalen Hintergrundes erschreckend harmlos daherkommen. Ich habe mich nun ganz bewusst entschieden, diesen Blogpost nicht weiter zu bebildern, weil ich glaube, dass die Erfahrung am Original - auch oder grade wenn es sich um eine Reproduktion handelt - bei dieser Arbeit von absoluter Wichtigkeit ist.

Nach all dem, denke ich, dass die Handyfotografie ein wirklich spannendes Feld ist, weil sie - ähnlich einer Notiz - alls Spur unserer Wahrnehmung und unseres Denken gelesen werden kann, grade dadurch, dass sie so ephemer und auch trivial erscheint. Ich möchte daher dich, Liebe Leserin, Lieber Leser, bitten: solltest du die documenta besuchen und Fotos mit deinem Handy machen, mir diese zukommen zu lassen. Es wäre doch interessant zu beobachten, welche Ansichten die Aufmerksamkeit verschiedener Personen erregen und außerdem als erinnerungswürdig und gleichzeitig vergessbar eingestuft werden. Ich würde mich freuen, wenn eine kleine Sammlung entstünde, die ich dann auch gerne an dieser Stelle präsentieren möchte.

TODO
  • Maria Loboda "The Work is Dedicated to an Emperor"
  • Brian Jungen "Dog Run"
  • Seth Price / Tim Hamilton Sommerkollektion 2012
  • Erkki Kurenniemi Archiv

2 Kommentare:

  1. Ich sollte dann vielleicht doch mal zu einem Handy wechseln, das mehr kann als Telefonieren und SMS verschicken. Aber ich mag den Riss über dem Display doch so sehr... [;-)] Es gibt ein neues. Vor dem documenta-Besuch, versprochen.

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    1. Und da du ja erfahrene Bloggerin bist, würde ich mich freuen, wenn du nach deinem Besuch einen Gastbeitrag schreibst.
      (Ich könnte dir übrigens in jedes beliebige Display einen Riss machen...)

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