13.06.2012

Tag 005: Gedanken zum öffentlichen Raum - dOCCUPY

Kurz vor der Eröffnung ereignete sich in der documenta-Stadt ein kleines Skandälchen, das die Presse auch dankbar aufnahm: Der Künstler Stephan Balkenhol instalierte in einem Kirchturm über dem Friedrichsplatz die Figur eines männlichen Menschen, der mit ausgebreiteten Armen, wie am Kreuz, auf einer goldenen Kugel steht.
Der den Friedrichsplatz und die Aue überragende Kirchturm mit der Skulptur von Stephan Balkenhol. Quelle: http://klausbaum.files.wordpress.com/2012/05/okt8387.jpg?w=529&h=351
Carolyn Christov-Bakargiev war laut Zeitungsberichten "entsetzt" und "erschrocken", da sie grade auf dem Friedrichsplatz ihren nicht-logozentrischen, ökofeministischen und nicht-anthroposophischen (oder anthropozentrischen?) Ansatz darstellen wollte. In einem Leserbrief in der HNA, den ich leider nicht online finde, ätzte ein Kasseler zum Eröffnungswochenende, wie großartig der Friedrichsplatz genutzt sei - schließlich ist fast nichts zu sehen. Da mich auch auf den dTOURS die Besucher auf die Figur ansprechen und sie tatsächlich oft für einen Teil der dOCUMENTA (13) gehalten wird, möchte ich auf die Arbeiten auf dem Friedrichsplatz im Laufe der nächsten Wochen besonders eingehen.
Dabei möchte ich zeigen, dass ich die inhaltliche Argumentation der documenta-Chefin nachvollziehen kann, ohne dabei den Begriff des öffentlichen Raumes zu vernachlässigen oder auf den Stil einzugehen, in dem diese Diskussion scheinbar ausgetragen wurde. Natürlich ist es das gute Recht der Kirche und des Künstlers eine Skulptur dort aufzustellen. Die documenta muss diese Intervention erdulden. Ende der Diskussion. Auf der anderen Hand ist es recht offensichtlich, wenn man die Positionierung der Arbeit und die Dauer der Ausstellung betrachtet, dass es sich um eine gewollte Provokation handelt und die Debatte intendiert war. 

Anyway. Ich wollte über die Arbeiten auf dem Friedrichsplatz sprechen... Heute:

Teil I: Ein imaginäres Volumen

Eine der eindruckstvollsten Arbeiten der gesamten documenta-Geschichte ist für mich der vertikale Erdkilometer von Walter de Maria. Sichtbar ist nur eine etwa 8cm große runde Metallfläche im Boden des Friedrichsplatzes, darunter erstreckt sich allerdings ein Metallstab, der in eine ein Kilometer tiefe Bohrung versenkt wurde. Es klingt möglicherweise etwas spirituell, aber wenn ich mich auf die kleine Metallfläche stelle, fühle ich mich unsicher, habe das Gefühl zu schwanken. Gleichzeitig fühle ich mich mit etwas Großem verbunden. (Kennt jemand den Anfang von Umberto Ecos Roman "Das Focaultsche Pendel"? In etwa so...)
Walter de Maria "Vertikaler Erdkilometer"

Für die dOCUMENTA (13) hat die Künstlerin Renata Lucas nun ein Werk geschaffen, dass ähnliche Fragen aber im Volumen aufwirft. Unter dem Titel "Ontem, areias movediças" finden sich in vier zum Teil zugänglichen unterirdischen Bereichen (Keller des Fridericianums, Keller des Wohnhauses der Gebrüder Grimm, Tiefgarage und C&A) Fragmente einer riesigen Pyramide, die sich, würde man die Fragmente vervollständigen, über den ganzen Friedrichsplatz erheben würde. 
Ich habe eine Skizze der Künstlerin aus dem Katalog abfotografiert und die Ausmaße der Pyramide (schwarz) nochmal deutlich nachgezeichnet, sowie die Position des Kirchturmes (weiß) markiert.
Skizze des Friedrichsplatz mit Renata Lucas' imaginärer Pyramide

Ganz deutlich wird hier von der Künstlerin eine der imposantesten Repräsentationsarchitekturen aus der Geschichte der Menschheit in ein unsichtbares Denkmodell überführt. Die Plastik ist nicht auffällig, sie ist nicht gigantisch, sie versteckt sich sogar. Findet man eines der Fragmente, sind diese so unscheinbar, dass ich nichtmal ein Foto davon gemacht habe. Vielleicht reiche ich es noch nach - vielleicht lohnt es sich auch nicht.
Steht man also heute auf einem fast leeren, das heißt kunstfreien, Friedrichsplatz, so sollte man seinen Augen nicht trauen: dieser Ort ist besetzt. Nicht von einem Monument, sondern einer Denkfigur, die uns auffordert, Repräsentation und Machtgesten zu hinterfragen. Und diese Machtgesten schließt die Macht des Menschen, (möglicherweise auch des Mannes) und der Kunst mit ein.

Und außerdem: dOCCUPY

Der documenta-Leitung wurde vorgeworfen, einen alleinigen Anspruch auf den öffentlichen Raum zu erheben. Und wenn dem so wäre, müssten auch andere Objekte entfernt, bzw. andere Aktionen unterbunden werden. 
Dass dem nicht so ist, zeigt sich an einer provisorischen Zeltstadt, die grade vor dem Fridericianum entsteht: dOCCUPY. Dieses kritische In-Beschlag-Nehmen passt, obwohl es sich anscheinend gegen die Mega-Kunstausstellung richtet, sehr viel besser in die Denkweise der d(13). Kritik und alternative Sichtweisen sind erwünscht. Das habe ich in meinen Touren so beschrieben und jetzt gibt es dazu auch eine positive Rückmeldung von Carolyn Cristov-Bakargiev. 
Warum also Stress mit einem scheinbar unkritischen Balkenhol aber Freude über Demonstranten? Die dOCUMENTA (13) möchte eine skeptische Haltung einnehmen: sie weiß nicht sicher, was Kunst ist, sie weiß nichts über die Wahrnehmung von nicht-menschlichen Weltenmachern und sie weiß nicht sicher, wie man die möglicherweise wichtigste Kunstausstellung der Welt repräsentiert. Was sie aber weiß, ist, dass der Mensch und seine Sichtweisen nicht die einzig gültige Antwort auf diese Fragen liefern kann - aber genau so liest sich die Positionierg der Figur im Kirchturm, über allem thronend, omni-präsent und sogar dem Himmel (und damit möglicherweise auch Gott) so nah wie möglich.

TO DO
  • Teil II: Ein Objekt, dass Menschen nicht zusagen muss
  • Teil III: Ein nicht-repräsentatives Denkmal

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen